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Beschreibung
Das ehemalige Dorf Stötteritz liegt etwa 4 km südöstlich vom Stadtzentrum Leipzigs und wurde 1910 nach Leipzig eingemeindet. Stötteritz ist aus dem Dorf Melsch, dem Ober- und Unterdorf mit je einem Rittergut und der armen, vorwiegend von Tagelöhnern bewohnten sogenannten Tragkorbgemeinde zusammengewachsen. Die älteste Dorfanlage von Stötteritz ist auf dem etwas erhöhten Gelände um den Bereich der Kirche herum anzunehmen. Zudem wurden im 19. Jahrhundert zwischen dem Gelände des heutigen Wäldchens und des Rittergutes unteren Teils Reste einer alten Wasserburg entdeckt.
In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts eroberte König Heinrich I. die Region. Dazu führte Heinrich sein Heer in mehreren Feldzügen gegen die Slawen, die ihn 929 bis nach Meißen bringen sollten und einen intensiven Landesausbau initiierten. Auch in Stötteritz entstand eine deutsche Wallanlage am Nordrand des alten Ortskerns im Bereich des unteren Gutes. Die einstige Burginsel ist mit der nordöstlichen Gebäudeecke des Gutsgevierts überbaut. Vom Graben sind noch die nördlichen und östliche Teile erhalten.
1325 wurde "Sthodericz" urkundlich erwähnt, als das Thomaskloster zu Leipzig Land in Stötteritz erwarb. Im 16. Jahrhundert bildeten sich in Stötteritz zwei recht kleine Rittergüter heraus, welche fast ausschließlich in bürgerlichen Händen waren. Dabei waren es meist Ratsherren oder Professoren der Leipziger Universität, die sich in Stötteritz niederließen.
Stötteritz oberen Teils
Während der Gutshof unteren Teils noch vorhanden ist, wurde das Rittergut oberen Teils mit allen Gebäuden 1908 abgerissen, nachdem die Leipziger Immobiliengesellschaft ab 1887 Felder aufkaufte, um sie für die Bebauung mit Wohnhäusern zu erschließen. Das Rittergut oberen Teils lag südwestlich der Kirche, etwa an der heutigen Straßenkreuzung Lange Reihe / Sommerfelder Straße. Für 1517 ist der Verkauf des Rittergutes oberen Teils durch Helena Krah an den Vorsteher des St. Anna-Altars in der Thomaskirche, Ludwig Langschneider, bekannt. Ihm folgten 1540 Sigmund Breutigam und ab 1575 die Familie Heinze. Ungefähr ab 1630 besaß die Familie Schmidt von Schmiedefeld das Rittergut. Nach dem Tod des Heinrich Schmidt von Schmiedefeld um 1680 heiratete seine Witwe Maria Magdalena um 1687 in die Familie Rink von Dorstig ein. Aus dem adligen Geschlecht gingen mit Johann Georg Rink der Amtmann von Belzig sowie der Heraldiker und Jurist Dr. Eucharius Gottlieb Rink hervor. In der Familie Rink blieb das Rittergut bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, als Christiana Clara Rink von Dorstig, Eucharius Gottlieb Rinks Tochter, 1737 den Hofrat Adam Friedrich Glafey heiratet. Glafey war 1726 zum Geheimen Archivrat in Dresden ernannt worden und arbeitete bis zu seinem Tod in der kursächsische Residenzstadt als Hof- und Justizrat sowie Vorstand des späteren Staatsarchivs. Für seine Verdienste um den sächsischen Staat wurde er 1748 in den Adelsstand erhoben.
Nach der Familie Glafey erwarb Prof. Dr. Heinrich Gottfried Bauer, Ordinarius der Juristenfakultät in Leipzig, das Gut. Seine Erben verkauften es 1817 an Erdmann Friedrich Herrmann, dem wiederum in kurzer Zeit der Stadthauptmann von Gera Ferdinand Semmel und der Oeconomieinspektor Gotthelf Christian Friedrich Richter folgten. Mit dem Hofrat Prof. Dr. Theodor Heinrich Carl Abraham Eichstädt, der 1823 das Gut erwarb, zog wieder eine etwas längere Verweildauer der Besitzer ein. Eichstädt galt als einer der bedeutendsten klassischen Philologen seiner Zeit und machte sich insbesondere durch seine lateinischen Reden und Gelegenheitsschriften einen Namen. Zudem erfuhr er auch ehrenvolle Berufungen als Mitglied zahlreicher Gesellschaften und Akademien der Wissenschaften. Im Leipziger Stadtteil Stötteritz wurde nach ihm die Untere und Obere Eichstädtstraße benannt. Nach dem Tod Eichstädts 1848 übernahm Louise Seidel, Nichte und Erbin von Heinrich Carl Abraham Eichstädt, das Gut.
Der letzte Besitzer des Rittergutes oberen Teils verkaufte das Anwesen im Jahre 1887 an die Leipziger Immobiliengesellschaft, die Felder erwarb, um sie für die Errichtung von Wohnhäusern zu erschließen. Nachdem die südwestlichen Gebiete bebaut waren, begann in einer weiteren Phase auch die Neubebauung des Gutes oberen Teils. Dazu brach man 1908 die Tragkorbgemeinde mit ihren engen Gassen sowie das Rittergut oberen Teils mit Herrenhaus und alter Schmiede ab und errichtete die heutigen Gebäude. Das Rittergut Stötteritz oberen Teils war Geschichte.
Stötteritz unteren Teils
Das Rittergut Stötteritz unteren Teils ist eine der wenigen fast vollständig erhaltenen Rittergutsanlagen im Leipziger Stadtgebiet und damit orts- und baugeschichtlich von besonderer Bedeutung. Erste bekannte Besitzer waren Erich Fachs, Johann von der Burgk und Dr. Christian Gregorius Altner. Dr. Christian Gregorius Altner besaß das Gut bis 1750 und verkaufte es dann an die Familie Faber.
Das Herrenhaus unteren Teils wurden Ende des 18. Jahrhunderts für Wilhelm Faber erbaut. Der spätbarocke Putzbau mit zwei Geschossen und einem Mansardwalmdach hat auf der Hof- und Straßenseite jeweils drei Fensterachsen breite Mittelrisalite ausgebildet, die sich dreistöckig bis in den Dachbereich hineinziehen und von Dreiecksgiebeln bekrönt werden. Putzgliederungen mit abgesetzten Ecken und Spiegeln unter den Fenstern unterstreichen die barocke Bauform des Hauses. Einer der berühmtesten Rittergutsbesitzer war Christian Felix Weiße, der den Hof von seiner Schwiegermutter erbte. Der Sohn des Rektors der Lateinschule im erzgebirgischen Annaberg zählt zu den bedeutenden Vertretern der Aufklärung und gilt als Begründer der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Zudem schrieb er Opern, Lustspiele, aber auch Tragödien. Zum Bekanntenkreis des Kreissteuereinnehmers und Begründers der komischen Oper in Leipzig gehörten u.a. Christian Fürchtegott Gellert und Gotthold Ephraim Lessing. Weiße gestaltete auch das Gut Stötteritz um und veranlasste die Anlage eines Parks nach englischem Vorbild, der infolge der Aufforstung um 1900 heute als "Stötteritzer Wäldchen" bekannt ist. Auf dem Gut - ein Treffpunkt zahlreicher Dichter - entfaltete sich ein reges kulturelles Leben, das besonders durch die literarischen Ambitionen Weißes geprägt war.
1804 ging das Gut an seinen Sohn, den Historiker und Rechtswissenschaftler Christian Ernst Weiße, von dem es der evangelischer Theologe und Philosoph Christian Hermann Weiße erbte. Während der Völkerschlacht 1813 lag Stötteritz im Zentrum des Geschehens. Am Abend des 17. Oktobers wurde das Hauptquartier Napoleons nach Stötteritz verlegt und am nächsten Tag tobte die Schlacht auf Stötteritzer Flur. Die napoleonischen Truppen plünderten den Gutshof, mussten den Ort aber bald darauf verlassen. Zurück blieben eine hohe Anzahl abgebrannter oder beschädigter Häuser sowie tausend Gefallene.
Um 1868 kaufte die Stadt Leipzig das Rittergut und verpachtete es. Das Herrenhaus diente dabei als Pächterhaus. Am 1. Januar 1871 vereinten sich die zwei bis dahin selbstständig bestehenden Gemeindeteile Stötteritz oberer und unterer Teil zu einer Gemeinde, die sich beständig zu einem industriell geprägten Vorort Leipzigs entwickelte. Landwirtschaft wurde nur noch von den beiden Rittergütern betrieben. Die Einwohner von Stötteritz waren hauptsächlich Arbeiter, die entweder in Leipzig oder in den verbliebenen Gewerben in Stötteritz tätig waren. Aber auch der Gutshof unteren Teils wurde 1875-1880 ausgebaut. Dabei entdeckte man die Reste der alten Wasserburg im nordöstlichen Bereich des Hofes. Die Wasserburg wurde 1975 als Bodendenkmal unter Schutz gestellt.
Von 1950 bis 1991 vermietete die Stadt den unteren Gutshof an Industrieunternehmen, die Teile der Gebäude u.a. als Lagerflächen nutzten. 1991 folgte der Verein zur Wiedereingliederung psychosozial geschädigter Menschen. Das Herrenhaus war zwar unter Denkmalschutz gestellt, verfiel in den Jahren der Vermietung aber mehr und mehr. Erst 1992 bis 1995 erfolgte eine umfassende Renovierung der Gutsgebäude, in denen heute der Gutshof Stötteritz e.V. Angebote zur Förderung von Menschen mit seelischer Beeinträchtigung in Arbeit, Freizeit und Wohnen macht. Neben dem gelb gestrichenen Herrenhaus ist das Gutsverwalterhaus ein schlichter Putzbau mit anschließendem ehemaligem Stallteil. Die übrigen Gebäude sind teils verputzt, teils ziegelsichtig oder mit Klinkergliederungen versehen. Das Stötteritzer Wäldchen mit seinem umfangreichen Wegenetz, altem Gehölzbestand, einem Teich und Ruheräumen lädt in der Nähe zu erholsamen Aufenthalten ein.
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Bildergalerie |
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Herrenhaus Stötteritz |
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